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John Greyson's Proteus Filmtagebuch

Februar 1998
Jack Lewis, ein in Kapstadt lebender Videokünstler, entdeckt in den städtischen Archiven
Aufzeichnungen einer Gerichtsverhandlung aus dem Jahr 1735.
Das Gericht verhandelte einen schweren Fall von Sodomie. Lewis übersetzte diese Unterlagen
vom Altholländischen in Afrikaans und schließlich ins Englische.
Er schickte mir die Texte per E-Mail mit der Bemerkung: „Hier haben wir ein neues Filmprojekt.“
Ich las die Übersetzung und war nicht wirklich überzeugt. Oberflächlich betrachtet gab diese
Geschichte nicht viel her. Zwei Männer, ein holländischer Seemann und ein Eingeborener aus
der Kap-Region, aus dem Stamm der Khois, waren nach Robben Island verbannt worden,
die berühmt-berüchtigte Gefangeneninsel vor Kapstadt. Sie wurden dabei überrascht, wie sie
miteinander Sex hatten, und die Aufzeichnungen erzählten ihre Geschichte von der Gerichts-
verhandlung bis zur Todesstrafe in Table Bay.

Jack sagte, ich solle mehr zwischen den Zeilen lesen. In der Beweisaufnahme stand, dass sie
anscheinend seit über zehn Jahren zusammen waren, was sie ja schließlich zu einem Paar
machte. Welches Wort hatten sie dafür benutzt. Zu dieser Zeit, unter diesen Umständen?
Hinzu kam, dass die Behörden nichts unternahmen, obwohl sie fast die gesamte Zeit von
dieser Beziehung wussten.

Es begann ein reger E-Mail Kontakt und Jack Lewis schrieb ein erstes Treatment, dass er
„Bandit House“ nannte.


April 1998
Der Produzent Damon D´Oliveira und ich entschieden, mit der Entwicklung des Projektes
als kanadisch-südafrikanische Koproduktion zu beginnen. Jack Lewis und ich sollten
gemeinsam am Drehbuch schreiben und Regie führen.

November 1998
Jack verschaffte mir einen Lehrauftrag, einen Drehbuchkurs an der Universität von Kapstadt.
Wir nutzten intensiv den Monat, um an unserem Filmprojekt zu arbeiten, besuchten Robben
Island und die Festung, wo unsere Geschichte spielte. Wir schrieben eine zweite Fassung
unseres Treatments. Jack knüpfte erste Kontakte zur heimischen Filmindustrie und stellte sich
Steven Markovitz und Platon Trakoshis von Big World Cinema als südafrikanischer Produzent vor.

Juli 1999
In Toronto schrieb ich eine erste Drehbuchfassung, die auf den unzähligen E-Mails mit
Jack Lewis basierte. Arbeitstitel: „Mr. Blank“.

Februar 2000
Auf dem Rotterdamer Film Festival CINEMART wurden wir in der Sektion Drehbuchentwicklung
eingeladen, unsere bisherige Arbeit, die mittlerweile den Titel „The drowning cell“ trug,
vorzustellen. Wir gingen gemeinsam dorthin. Man interessierte sich für den Stoff, aber niemand
wollte ihn verwirklichen.

Sommer 2000
Telefilm Canada und The Harold Greenberg Fund boten uns an, die Drehbuchentwicklung zu
finanzieren. Dritte und vierte Fassungen wurden geschrieben und über E-Mail tauschten wir
uns aus. Jetzt trug unser Projekt den Titel „Mr. Tyne and Mr. Blank“. Jeder, den wir um
Finanzierung unseres Projektes ansprachen, reagierte mit Zurückhaltung zu diesem
kanadisch-südafrikanischen Gemeinschaftsprojekt, dessen Leitthema „Sodomie“ war
(nach damaliger Rechtssprechung bezeichnete Sodomie nicht nur den Geschlechtsverkehr
mit Tieren, sondern auch den Analverkehr, was höchst strafbar war
).
So mussten wir unsere Vorstellungen zurückschrauben, diesen Film mit hohen Produktions-
kosten im Stile der Merchant/ Ivory Produktionen realisieren zu können. Uns blieb nur die
Aussicht, diesen Film im kleineren Umfang und somit auch mit einem geringeren
Budget zu verwirklichen.

Sommer 2001
Ich erhielt finanzielle Unterstützung vom Canada Council und Ontario Arts, was in etwa die
Hälfte des 200.000 Dollar Budget entsprach.

Winter 2002
Die südafrikanische Nationale Film und Video Förderung sagte Unterstützung für unser Projekt
zu; einer von drei Filmen, den sie in diesem Jahr förderten. Der Betrag war nicht hoch, aber
der symbolische Wert dieser Zuwendung war unermesslich. Jack kümmerte sich um eine
Erlaubnis des Robben Island Museum, so dass wir uns frei bewegen und in ihren Archiven
forschen konnten. Steven und Platon erhielten die Zusage einer Firma für technische Film-
ausstattung und so erhielten wir Kameras, Licht- und Technikausrüstung für die Dreharbeiten.
Mittlerweile hieß unser Film „Mantis“.

März 2002
Die Firma Showcase optionierte den Film für die Vorkaufsrechte.
Lange und ausführliche Gespräche mit Telefilm verliefen sehr gut.
Das Projekt trug jetzt den Titel „Proteus“.

April 2002
Damon trat von unserer gemeinsamen Arbeit zurück, da er sich anderen Projekten widmen
wollte. An Bord kam Anita Lee als kanadische Koproduzentin.

Mai 2002
Telefilm entschied sich für eine Zusammenarbeit mit uns. Vorverkäufe mit Movie Central und
The Movie Network verliefen erfolgreich. Unser Budget erhöhte sich dadurch auf 500.000
Dollar. Ich verbrachte den Mai in Südafrika, zusammen mit Jack. Wir besichtigten mögliche
Drehorte und organisierten Vorsprechen mit einigen Schauspielern.

August 2002
Die Dreharbeiten kamen immer näher. Die Schauspieler freuten sich auf die Arbeiten am
Film. Ihre Gagen waren nicht besonders hoch und trotzdem waren sie sehr motiviert.
Einmal nicht in einem Werbespot spielen, sondern in einer Story, die einen starken Bezug
zu ihrer Geschichte hat. Unser Kameramann Guilio Biccari machte Testaufnahmen auf
D-Beta und zeigte uns eine kameratechnisch mögliche Farbwahl in Braun- und Grüntönen.
Das kam sehr cool rüber. Tom Hannam (Produktionsdesign) überzeugte uns, den Gefängnis-
garten neben dem felsigen Strand zu bauen. Das bedeutete zwar mehr Arbeit, aber dieser
starke visuelle Kontrast war wirklich überzeugend und alle Mühe wert.

September / Oktober 2002
18 Tage Dreharbeiten waren angesetzt. In Kapstadt, auf Robben Island und in der
näheren Umgebung. Jack und ich begannen jeden Tag um fünf Uhr mit einer Übersicht
der zu drehenden Szenen. Niemand von uns beiden hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit
einem anderen Regisseur gemeinsam einen Film gedreht. Wir teilten uns die Szenen unter
dem Aspekt der Sprache auf. Ich drehte die englischen, er die Szenen in Afrikaans und
in Nama. Es war für uns beide eine große Herausforderung und natürlich hatten wir viel
Spaß dabei. Die Abschlussparty ging dann auch dementsprechend bis weit in den
nächsten Morgen.

November 2002 bis März 2003
Roslyn Kallo war unser brillanter Cutter bei der Firma Charles St. Video. Den gesamten
Schnitt machten wir im PAL-Format, genauso den Sound und den abschließenden Mix.
VHS Versionen davon wurden jede Woche nach Kapstadt geschickt und Marathon-
Telefonate und E-Mails folgten. Jack und Platon fanden sich zum Endschnitt ein und die
größten und härtesten Entscheidungen wurden hier getroffen.

April bis Mai 2003
Janice Lerulli hatte die Projektverantwortung für den Soundmix und -schnitt.
Die Komponisten Don Pyle und Andrew Zealley unterstützten uns und den Schnitt mit
ansprechenden Tracks. Sie schufen einen brillanten Score, der traditionelle Instrumente
und Geigenarrangements vereinte.

Juni bis August 2003
Cinebyte machte ein Blow-Up von unserer PAl D-Beta Version.
Es gab einige wenige Synchronisationsaussetzer, aber die Schönheit des Films war
wirklich überwältigend. Schließlich erlebte „Proteus“, ja wir hatten uns endlich auf einen
Titel geeinigt, seine Premiere auf dem Internationalen Filmfestival von Toronto
im September 2003.

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