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Jack Lewis - Gedanken zum Film

Als in den 70er und 80er Jahren in Nordamerika die schwule Bewegung sich öffentlich
formierte, fand parallel dazu in Südafrika die Antiapartheids-Bewegung statt. Obwohl meine
Freunde Bescheid wussten über meine sexuelle Orientierung, war das in diesen beiden
Jahrzehnten niemals der zentrale Punkt meiner politischen Aktivitäten gewesen. Mit der
Geburt einer südafrikanischen Demokratie 1994 ergab sich für mich die Möglichkeit, über
verloren gegangene Themen nachzudenken. Ich wurde Aktivist in der Bewegung für mehr
Rechte für Schwule und Lesben in Südafrika, die sich in den frühen 80er Jahren formierte.
Die gleichzeitige Demokratisierung Südafrikas ermöglichte einen gesellschaftlichen Wandel
und einen Weg der demokratischen Erneuerung. In den neuen Gesetzestexten hieß es,
dass Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung verboten wurde.
Ein Urteil, das landesweit Aufsehen erregte, ja mehr noch, das Gesetz gegen die Sodomie
wurde als nicht verfassungskonform erklärt. Zum ersten Mal trauten sich schwarze Schwule
und Lesben aus den Townships heraus in das „weiße“ Center von Kapstadt, und dort in die
Clubs und das Nachtleben.

In dieser gesellschaftlichen Entwicklung liegt auch mein Interesse für die Geschichte von
Rijkhaart Jacobsz und Claas Blank aus den Jahren 1718 bis 1735 begründet. Diese wahre
Begebenheit verband mich mit der Geschichte niederländischer Gesetzesschreibung,
die sexuelle Beziehungen zwischen Männern verbot und Grundlage für viele Verurteilungen
vornehmlich schwarzer Männer in Südafrika war. Und nicht nur Verurteilungen,
auch Hinrichtungen wurden ausgeführt.

Aber warum stand der Rest der Bevölkerung der Thematik „Entkriminalisierung der Sodomie“
so zwiespältig gegenüber?
Die Geschichte von Rijkhaart und Claas ist auch die Geschichte interkultureller Beziehung;
Beziehungen zwischen schwarz und weiß ist ein bekanntes Thema in Südafrika, aber
niemand betrachtete das bisher unter dem Gesichtspunkt des sexuellen Verlangens und
der Zuneigung.

Ich hab andere Fälle recherchiert, die auch mehr oder weniger mit den Themen Rasse,
Sex und Sodomie spielten und auch in Robben Island stattfanden. Aber Claas und
Rijkhaarts Erfahrungen waren emotionaler, tiefer gehend, denn ihre Beziehung dauerte
sehr lange. In Wirklichkeit waren es 17 Jahre, in der sie eine feste Beziehung hatten.
Für den Film haben wir es auf 10 Jahre gekürzt, um die Geschichte besser erzählen zu können.

Als John Greyson und ich uns dem Thema näherten, wurden wir uns bewusst, in welcher
Zeit dieses Thema der Homosexualität eigentlich stattfand. Schon in den 30er Jahren des
18. Jahrhunderts wurden Männer in Amsterdam wegen ihrer sexuellen Orientierung
hingerichtet. Unsere Geschichte beschreibt den Weg der Homosexualität in die Öffentlichkeit,
und das in einer abgelegenen Region der Welt, weit ab von europäischen Metropolen.

„Proteus“ wird aus der Sicht von Claas Blank erzählt einem Mitglied der Khois,
einem Naturvolk, welches in der Gegend um Kapstadt angesiedelt war. Hautnah erlebt er
die Zerstörung seines Stammes mit und in diesem Vakuum empfindet er die Beziehung zu
Rijkhaart Jacobsz, dem jungen Seemann aus Rotterdam, der wegen seiner „strafbaren“
homosexuellen Neigung auf Robben Island ist. Beide sind entwurzelt, befinden sich quasi in
einem Vakuum. Und beide sehen in ihrer Beziehung zueinander auch einen Schutz vor der
Außenwelt. Diese Geschichte zu erzählen, die mit John Greysons Hilfe in den Film „Proteus“
mündet, ist eine Herausforderung gewesen, handelt sie doch nicht nur von der Überwindung
von Lust und Liebe, sondern auch von den scheinbar unüberbrückbaren Hindernissen
sozialer, kultureller und historischer Gegebenheiten.

Die Geschichte spielt auf Robben Island, einem historischen Ort, der wesentlich die
Geschichte von Südafrika prägt. Viel wurde über diesen berüchtigten Ort geschrieben,
saßen hier doch auch während der Apartheid viele politische Häftlinge. Robben Island ist
ein symbolträchtiger Ort und Metapher für die südafrikanische, gesellschaftliche Entwicklung.
Die Insel hat die Kolonialzeit und damit die Sklaverei erlebt, die Vernichtung des
Khoi-Stammes und die Apartheid.

„Proteus“ bringt uns diesen Ort näher, zeigt ihn als einen historischen Ort, wo über 350 Jahre
lang Menschen inhaftiert waren und sogar starben, nur weil sie anders waren oder dachten.
Und so wird „Proteus“ sicherlich viele Zuschauer daran erinnern, dass es zu allen Zeiten und an
allen Orten homosexuelle Menschen existierten, die für ihre Neigung teuer bezahlen mussten.

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